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Type: Glossary Entry

Identifier:
uebersetzen
Description

T wie Tokenismus ist eine Praxis, mit der sich Gruppen, Betriebe oder Institutionen als emanzipiert oder divers darstellen, indem sie eine oder wenige Personen aus unterrepräsentierten Gruppen einstellen. Diese versehen die Institution mit symbolischem Wert, bleiben aber austauschbar und können oft keinen Rassismus- oder Diskriminierungssensiblen Umgang erwarten. Tokenismus ist eine Art von Sichtbarkeit, die Machtunterschiede verschleiert. Er verhindert strukturelle Inklusion und eine Auseinandersetzung mit tatsächlicher Ungleichheit. Ü wie Übersetzen politisch sensibler Begriffe. Manche Wörter scheinen direkt übersetzbar, haben aber durch den jeweiligen sozialen Kontext eine unterschiedliche Bedeutung. Übersetzen heisst, nicht Worte, sondern Bedeutungseinheiten zu übertragen. Z. B. hat die Begriffsgeschichte des N-Worts auf Deutsch und auf Englisch gemeinsame Wurzeln, aber auch Unterschiede. Bis in die 1970er Jahre fungierte das Wort in den USA als Fremd- wie auch als Selbstbezeichnung – eine Ambivalenz, die es so im Deutschen nicht gab. Es wird heute in deutschen Texten meist mit Schwarz übersetzt. Die Ambivalenz verschwindet so (z. B. in übersetzten Texten von James Baldwin) zugunsten eines Verzichts auf die Reproduktion von Gewalt.
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Manche Wörter scheinen direkt von einer Sprache in die andere übersetzbar, haben aber bei genauem Hinschauen abweichende Bedeutungen. Übersetzen heisst letztendlich, Bedeutungseinheiten ineinander zu übertragen. Dafür muss Kontext berücksichtigt werden. Gerade im Deutschen, wo die rassismuskritische Sprache (noch) nicht ausgeprägt ist, funktioniert es deswegen oft nicht, ein Wort eins zu eins mit einem anderen zu üb/ersetzen. Ein Beispiel dafür ist das englischsprachige race, das nicht deckungsgleich ist mit dem deutschen Wort «Rasse», weil die beiden Wörter unterschiedliche Begriffsgeschichten durchlaufen haben. «Rasse» wird im Deutschen mit Rassenforschung, NS-Regime und rechtem Extremismus assoziiert. Bis heute bezieht «Rasse» sich dabei auf die Biologie. So wird der Begriff weitgehend abgelehnt, weil die Wissenschaften «keine biologische Grundlage für die Klassifizierung von Menschen in Rassen sehen» und nicht, weil er Dreh- und Angelpunkt für Genozid und koloniale Gewalt war. Um diese Bedeutung nicht zu reproduzieren, wird auf Deutsch oft auf →rassifiziert, rassialisiert oder rassisiert ausgewichen und so auf die soziale Konstruktion von «Rassen» verweisen. Das englischsprachige race hingegen ist ein Begriff, der sowohl die rassistische Konstruktion und Unterdrückungsgeschichte referenziert als auch den →Widerstand dagegen. Ins Zentrum der englischen Wortbedeutung race rückt somit auch eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung um die Emanzipation von →BIPoC. Race dient in dieser Tradition dazu, tatsächlich existierende soziale Ungerechtigkeit benennen zu können, mit dem Ziel der sozialen Emanzipation («elevating the race»). Race steht also im Gegensatz zu einer Behauptung von «racelessness» oder «Farbenblindheit», die solche sozialen Machtverhältnisse vertuscht, indem jegliche Verweise auf Rassifizierung tabuisiert werden. Ein weiteres Beispiel ist das englische Wort für «N». In seinem 1953 verfassten Text «Ein Fremder im Dorf», den James Baldwin über die Walliser Ortschaft Leukerbad verfasste, benutzte er mehrmals den Begriff «Negro» sowohl als Selbstbezeichnung als auch, um die rassistische Abwertung, die er erfuhr, sichtbar zu machen. Im Englischsprachigen gab es zudem eine qualitativ graduelle Unterscheidung zwischen diesem und dem «N-»Wort mit Zweitbuchstaben «i». Letzteres war immer eine intentionale rassistische Abwertung. Mit der Bürgerrechtsbewegung wurde «Black», bis dahin ebenfalls meistens abwertend verwendet, zur vorherrschenden Selbstbezeichnung (neben African American) angeeignet. Die entmenschlichende Dimension beider «N-»Wörter wurde im Lauf des 20. Jahrhunderts weiter diskutiert, mit dem Resultat, dass sie heutzutage, insbesondere als Fremdbezeichnung, weitgehend abgelehnt und nicht mehr reproduziert werden. Diese graduelle Unterscheidung gibt es auf Deutsch historisch nicht. Somit wird der Begriff auf Deutsch meist nicht mehr ausgeschrieben, und wo es eine soziale Position beschreiben soll, mit dem Begriff →Schwarz ersetzt.


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