D wie dekolonisieren bezeichnet die Bestrebung, sich aus kolonialen Machtverhältnissen zu befreien. Dekolonisierung wurde die formelle Ablösung von ehemaligen kolonialen Metropolen und die Gründung von unabhängigen Staaten genannt. Darüber hinaus bedeutet dekolonisieren als Handlung zu fragen, wie kolonial gewachsene Machtverhältnisse weiterwirken und wie sie überwunden werden können. Dekolonisieren zielt auf eine Umverteilung und→Reparationenfür diejenigen, die bis heute von diesen Machtverhältnissen geschädigt werden.
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Kolonisieren bedeutet die gewaltsame Unterwerfung, Aneignung und Akkumulation, Versklavung und Ausbeutung von Land, Ressourcen und Menschen. Dekolonisieren bezeichnet die Bemühungen, sich aus diesen historisch gewachsenen Machtverhältnissen zu befreien. Das findet auf globaler Ebene statt. In verschiedenen Phasen wurde ein Grossteil der von Europa kolonisierten Gebiete zu formal unabhängigen Staaten. Die Folgen der Kolonialgeschichte wirken aber bis heute fort: in globalen Machtverhältnissen, in der Verteilung von Eigentum, geraubten Kulturgütern und Gewinnen aus globalen Wirtschaftsunternehmungen, den Folgen von Traumata, Grenzziehungen, militärischen Konflikten, sozialen Strukturen innerhalb von kolonisierten und kolonisierenden Gesellschaften, um nur einige Aspekte zu nennen (vgl. →anti-Indigener Rassismus). Eine wirksame Dekolonisierung erfordert deshalb folgendes: Die Auseinandersetzung damit, wie diese Machtverhältnisse global und strukturell wurden und inwiefern sie im Alltag immer noch wirksam sind. Die Auseinandersetzung damit, wie diese Machtverhältnisse überwunden werden können. Die radikale Umverteilung und →Reparationen an Menschen, Gemeinschaften und Länder, die bis heute an den materiellen und immateriellen Schäden leiden. Dekoloniale Theorie ist ein Ansatz, der von einem Netzwerk von lateinamerikanischen Forscher:innen (grösstenteils in der Diaspora) entwickelt wurde. Wie beim →Post_kolonialismus liegt der Fokus auf dem Nach-/Leben des Kolonialismus. Beide Ansätze verbinden ihre Untersuchungen zu den historischen und geografischen Machtverhältnissen mit einer grundlegenden Kritik am modernen Wissen, dass mit dem Kolonialismus entstanden und global wirkmächtig geworden ist. Dabei beschäftigen sie sich immer auch mit marginalisiertem Wissen. Sie fragen einerseits wie dieses von den Kolonialmächten unterdrückt oder angeeignet wurde, anderseits aber auch, wie es von den →IndigenenBevölkerungen unter prekären Umständen entwickelt und weitervermittelt wurde. Während →post_kolonialeAnsätze vor allem von Forscher:innen aus dem Nahen Osten, Südasien und dem südlichen Afrika (und in der Diaspora) entwickelt worden sind und in ihren Kontexten der Kolonialismus ab dem 18. Jahrhundert bestimmend ist, setzen dekoloniale Ansätze mit den früheren europäischen Kolonisierungsprojekten auf dem amerikanischen Doppelkontinent ab dem 15. Jahrhundert an. Auch wenn die beiden Ansätze oft kontrastiert werden, teilen sie eine radikal kritische Auseinandersetzung mit dem «Kolonialismus nach dem Event», und überschneiden und ergänzen sich. Insbesondere von marginalisierten, kolonisierten, →BIPoC und antirassistischen Menschen wird kritisiert, dass nach «post_kolonial» und «intersektional» nun auch «dekolonial» in der Akademie und in Kulturinstitutionen Konjunktur haben und dadurch (etwa als «Dekolonisierung der Universität/des Theaters/des Museums.») zu Buzzwords geworden sind. Diese «starken Worte» würden, so Sushila Mesquita, aus «politischen Kontexten entnommen, und der radikalen Geschichte, aber auch des radikalen Zwecks entleert.» Dabei wertet die Kompetenz zu diesen Themen bestimmte Personen, die dazu publizieren, auf, während die Themen ihr machtkritisches Potenzial verlieren. Die Wissensproduktion (z.B. unter Abwertung des Erfahrungswissens marginalisierter Menschen), die Personalpolitik, Curricula und Kanonbildung der betreffenden Institutionen bleiben meistens beim Alten und die koloniale, politische, ökonomische und soziale Ordnung, auf der die Wissensproduktion beruht, bleibt unangetastet. Im Kontext von Siedlerkolonialismus gehen Eve Tuck und K. Wayne Yang noch einen Schritt weiter: Sie sagen, wenn zur Dekolonisierung von Schulen und Universitäten aufgerufen wird, verkommt Dekolonisierung zu einer Metapher. Themen, die für Dekolonisierung zentral sind, wie die Rückgabe von Land (auf dem diese Institutionen teilweise stehen), Umverteilung und Reparationen, werden übergangen, oder sogar untergraben.