▩ Glossar - «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern»
R wie Rassifizierung / Rassialisierung / Rassisierung

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Type: Glossary Entry

Identifier:
rassifizierung
Description

R wie Rassifizierung (auch Rassisierung oder Rassialisierung) bezeichnet die Konstruktion von Gruppen von Menschen, die vermeintliche oder tatsächliche kulturelle oder körperliche Merkmale teilen, und die als Gruppen in hierarchischen Beziehungen zueinander stehen, als «Rassen». Rassifizierung betont dabei die soziale Konstruiertheit dieser Gruppen. Als Partizip wird «rassifiziert» auch verwendet, um diejenigen Menschen zu bezeichnen, die durch Rassismus benachteiligt werden (→BIPoC), im Gegensatz zu →Weisssein als unmarkierte Norm.
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Die drei Begriffe werden meist synonym verwendet. Sie dienen auch als Übersetzung des englischen Begriffes «race» ins Deutsche (vgl. →übersetzen). Rassifizierung bezeichnet die Konstruktion von «Rassen» resp. von Gruppen von Menschen, die vermeintliche oder tatsächliche kulturelle oder körperliche Merkmale teilen, und die als Gruppen in hierarchischen Beziehungen zueinander stehen. Der Begriff «rassifiziert» wird auch verwendet, um Menschen(gruppen) zu beschreiben, die aufgrund von Rassismus markiert und diskriminiert werden (vgl. →BIPoC). Der Begriff dient in dieser Verwendung als Gegenstück zu [object idno="weisssein"]→Weisssein[/object], das in einer rassistischen Ordnung immer wieder als unmarkierte menschliche Norm konstruiert und wahrgenommen wird. Schliesslich können auch Dinge rassifiziert werden, die entlang einer rassistischen Differenzierung interpretiert werden, z. B. waren die Emoticons auf Smartphones lange einfach gelb. Irgendwann wurde die Option hinzugefügt, Emojis mit weiteren Hautfarben auszusuchen. Die Emojis wurden rassifiziert (es gibt keine blauen oder grünen Optionen), und jedes Mal, wenn wir ein Emoji aussuchen, treffen wir eine Entscheidung innerhalb dieser rassifizierten Matrix. Rassifizierung betont, dass es sich bei diesen Gruppen nicht um «natürlich» gegebene «Rassen» handelt, sondern um Gruppen, die auf der Basis von Rassismus konstruiert wurden. Die durch den wissenschaftlichen Rassismus des 19. Jahrhunderts eingeführte Vorstellung von biologischen «Menschenrassen war – und ist – eine wirkmächtige Kategorie, die koloniale und faschistische Gewalt legitimiert. Die Vorstellung von «Rassen» als kategorische und hierarchische Unterscheidung, hat die moderne Welt auf grundlegende Art geformt und geprägt. Nach dem Holocaust verschwand der Begriff in Europa zunehmend aus dem Sprachgebrauch. In der Schweiz, die sich weder von Kolonialismus noch vom europäischen Faschismus betroffen sah, kursierten «Rasse» und rassentheoretische Begriffe noch bis in die 1970er-Jahre. Seither werden sie auch hierzulande durch Begriffe wie Ethnie oder Kultur ersetzt, aber die Logik hierarchischer und diskriminierender Unterscheidungen wird weitergeführt. «Rasse» verschwindet so aus dem Sprachgebrauch, ohne dass der Rassismus als Unterdrückungsstruktur verschwindet. Es wird postuliert, dass «Rassenvorstellungen» keine Rolle mehr spielten, während sie es tatsächlich immer noch tun. Dadurch entsteht eine Art Sprachlosigkeit rund um rassistische Diskriminierungen und Ausgrenzungen. Während sie offiziell als veraltet und auch verwerflich gelten, führen Rassenvorstellungen ein geisterhaftes Nachleben – nicht nur in gesellschaftlichen Diskursen und Machtverhältnissen, sondern durchaus auch in der Wissenschaft, wo beispielsweise in der Genetik und der Ahnenforschung Parallel-Effekte feststellbar sind. Dies alles führt zu einer kontroversen Diskussion über die Kontinuität und den Status von Kategorien der Rassifizierung in Wissenschaft und Gesellschaft.